Zeig mir die Geschichte – über Stil und Sprache

Jeder Autor wünscht sich, so schreiben zu können, dass der Leser ihn morgens um vier verflucht, weil sein Buch ihn bis dahin wach gehalten hat. Eines der gängigsten Mittel, um diese Spannung zu erreichen, ist das sogenannte Zeigen – oder auf englisch „show“. Mit dem Zeigen erreichen wir auf direktem Weg die Gefühle des Lesers. Wir wiegen ihn in den fiktionalen Traum ein und schalten seinen Verstand aus, der ihm den Blick auf die Uhr ermöglicht hätte.

 

Das Zeigen ist eng verknüpft mit den heutigen Gewohnheiten, wie eine Geschichte aufgenommen wird. Wir alle sind mit Fernsehen und Kino aufgewachsen: Geschichten, die uns in Bildern erzählt werden, sind uns geläufig. Zeigen ermöglicht dieses Sehen einer Geschichte – sie läuft wie eine Flut von Bildern vor dem inneren Auge ab. Als hätten wir unseren Kopf in einen Kinosaal verwandelt und würden einen Film anschauen.

Das Erzählen wird oft als Gegensatz zum Zeigen gesehen.

Der englische Lehrsatz dazu lautet: „Show, Don´t Tell“ – also: Zeig es mir, erzähl es nicht. Dabei kann das Erzählen ein ebenso kunstvolles Spannungsmittel für die Geschichte sein wie das Zeigen. Es entspricht nur nicht mehr den heutigen Lesegewohnheiten, die immer mehr zu Sehgewohnheiten geworden sind.

Was ist der Unterschied zwischen dem Zeigen und dem Erzählen?

Erzählen hat immer etwas Vermitteltes. Jemand erzählt mir etwas, und dieser jemand ist mit seiner Erzählstimme in der Geschichte präsent. Er formt die Geschichte. Er kann z.B. das Erzähltempo drosseln oder beschleunigen. In der Regel bedeutet eine ausgeprägte Erzählstimme auch eine Distanz zum Geschehen. Es ist die Ironie in der Erzählstimme von Thomas Mann, die ihn zum herausragenden Erzähler macht. Aber diese Ironie entfernt uns auch von der Handlung, weil sie sich zwischen das Geschehen und den Leser schiebt. Und damit entfernt sie uns auch von der Bilderflut, die das Zeigen der Handlung im Leser auslöst und an Kino und Fernsehen erinnert.

 

Zugegeben – es gibt auch Kinofilme, die eine Erzählstimme haben. Diese Filme nennen wir dann literarisch. Manche glücken, manche nicht.

In der Regel wird uns im Film die Geschichte aber unmittelbar gezeigt. Kein Erzähler steht zwischen uns und der Kinoleinwand – oder dem Fernsehbildschirm. Wir versinken im Geschehen und in den Figuren. Und alles (der Schnitt, der Ton, die Regie usw.) ist darauf angelegt, dass wir unsere Umgebung vergessen und im fiktionalen Traum versinken.

Um diesen Prozess in der Literatur nachvollziehen zu können, greifen wir also auf das Zeigen zurück. Und auf das Szenische, das mit dem Zeigen in enger Verbindung steht.

Wie ist die Verbindung zwischen dem Zeigen und dem Szenischen?

Eine Geschichte zu zeigen bedeutet, dass die Zeit, die die Handlung braucht, um zu geschehen, identisch ist mit der Zeit, die der Leser braucht, um die Geschichte zu lesen. Es ist wie auf der Bühne. Wie im Drehbuch. Wie es das szenische Schreiben verlangt.

Wir zeigen, was geschieht:

„Petra Schubert schob den Stuhl zurück und stand auf. Nach wenigen Schritten erreichte sie die Tür und riss sie auf. „Hallo!“, brüllte sie in den langen Flur.“

Merken Sie es?

Die Zeit, die die Handlung braucht um, stattzufinden (Stuhl zurückschieben, Aufstehen usw.), ist identisch mit der Zeit, die der Leser braucht, um diese Zeilen zu lesen. Das ist szenisch. Das ist die Grundlage fürs Zeigen. Denn der Leser kann unmittelbar und zeitgleich miterleben, was in der Geschichte geschieht. Der Autor zeigt die Handlung, mischt sich nicht ein, lässt den Figuren den Vortritt.

Allerdings – der Ausdruck „nach wenigen Schritten“ durchbricht das Konzept ein wenig. Hier scheint die Lesezeit etwas geringer zu sein als die Zeit, die die Handlung braucht. Je nachdem, wie weit unsere Figur von der Tür entfernt gesessen hat.

Korinthenkackerei?

Vielleicht, aber wichtig. Denn mit dem Zeigen beeinflussen wir die Spannung. Je mehr der Leser „sieht“, desto leichter fällt es ihm in der Regel, sich selbst zu vergessen und sich mit den Figuren zu identifizieren. Und die Spannung steigt. Die Geschichte wird zu dieser Abfolge von Bildern, zum Strom, in den der Leser eintaucht und in dem er sich verliert.

 

Im Gegensatz dazu entfernt uns das Erzählen in der Regel von diesem Bilderstrom.

Beim Erzählen sind Handlungszeit und Lesezeit nicht mehr identisch. Die Zeit, die die Handlung braucht, um zu geschehen, ist länger als die Zeit, die der Leser braucht, um die Zeilen zu lesen. Was bedeutet das?

„Petra hatte Jahre gebraucht, um endlich vor einer Schulklasse zu stehen. Jahre, in denen sie nicht nur ihre Fächer studiert, sondern sich auch mit ihrer Tochter herumgeschlagen hatte. Aber all ihrem Wissen zum Trotz rannten die Kinder brüllend durch die Klasse.

Petra schob den Stuhl zurück und stand auf. Nach wenigen Schritten erreichte sie die Tür und riss sie auf.

„Hallo!“, brüllte sie in den langen Flur. Die Schüler starrten ihre Lehrerin an.“

Das weniger Wichtige – wie die Vorgeschichte – wird oft erzählerisch geschrieben. So kann der Autor schnell nötige Informationen an den Leser weitergeben.

In unserem Beispiel dauert die Vorgeschichte Jahre, aber die Zeit, die wir brauchen, um sie zu lesen, vielleicht 10 Sekunden. Interessiert uns die Figur, werden uns auch diese Details aus ihrer Biografie (Studium, eigenes Kind) interessieren. Aber die Spannung, die aus dem Zeigen resultierte, ist nicht mehr da.

 

 Sol Stein fordert uns in seinem Buch „Über das Schreiben“ auf, auch in solchen Situationen szenisch zu bleiben, in denen wir eigentlich informieren wollen. Aber wie kann das gehen? Kehren wir zu unserem Beispiel zurück:

„Meine Tochter hab ich auch groß gekriegt. Petra Schubert lauschte an der Klassentür. Und los!

Sie betrat den Raum. Brüllend rannten die Kinder umher. Auch als sie sich setzte und laut räusperte, machten die Kinder weiter. Ich muss sie überraschen, dachte sie.

Petra schob den Stuhl zurück und stand wieder auf. Nach wenigen Schritten erreichte sie die Tür und riss sie auf.

„Hallo!“, brüllte sie in den langen Flur. Die Kinder starrten sie an. Das hatte geklappt.

Da schaute der Direktor aus einem der Klassenräume heraus. „Stimmt etwas nicht an Ihrem ersten Schultag, Frau Schubert?“ Seine Stimme klang gereizt.“

Die Informationen über die Vorgeschichte in die Gedanken und Rede der Figuren hineinzulegen, ist eine Möglichkeit, szenisch zu bleiben und so die Bilderflut für den Leser aufrechtzuerhalten.

 

Sol Stein sagt, dass es für Autoren in drei Situationen besonders schwerig sei, die Handlung einer Geschichte zu zeigen und nicht zu erzählen.

„Wenn er beschreibt, was geschehen ist, bevor die eigentliche Geschichte beginnt; wenn er beschreibt, wie ein Akteur aussieht; wenn er beschreibt, was ein Akteur empfindet, was er also sieht, hört, riecht, unter den Händen spürt und schmeckt.“

Mit dem ersten Punkt, der Vorgeschichte, haben wir uns beschäftigt. Die zweite Schwierigkeit liegt laut Stein in der Beschreibung der Figur. Wie können wir uns das vorstellen?

„Meine Tochter hab ich auch groß gekriegt. Petra Schubert, eine rothaarige Frau mit vielen Sommersprossen, lauschte an der Klassentür. … .“

 Wie können wir ihr Äußeres zeigen, sichtbarer machen?

„Ihr Haar türmte sich auf dem Kopf. Die vollen Strähnen wurden von drei dicken, rosa Gummis gehalten, deren Farbe sich mit dem Rot ihrer Haare biss. Petra Schubert lauschte an der Klassentür. Meine Tochter hab ich auch groß gekriegt, dachte sie und betrat den Raum. … Petra schob den Stuhl zurück und stand auf. Ihre Haarpracht wackelte. Nach wenigen Schritten erreichte sie die Tür und riss sie auf.

„Hallo!“, brüllte sie in den langen Flur. Dabei tanzten die Sommersprossen auf ihrem Gesicht. …“

Vielleicht ein bisschen übertrieben, aber wir sehen sie. Und die Empfindungen der Figur?

„Ihr Haar türmte sich auf dem Kopf. Die vollen Strähnen wurden von drei dicken, rosa Gummis gehalten, deren Farbe sich mit dem Rot ihrer Haare biss. Petra Schubert lauschte an der Klassentür. Meine Tochter hab ich auch groß gekriegt, dachte sie. Also los!

Sie betrat den Raum. Brüllend rannten die Kinder umher. Petra holte tief Luft. Auch als sie sich laut räusperte, machten die Kinder weiter. Sie setzte sich und trommelte mit den Fingern auf ihrem Schreibtisch. Schreien ist schlecht, dachte sie. Ich muss sie überraschen.

Petra schob den Stuhl zurück und stand wieder auf. Ihre Haarpracht wackelte. Nach wenigen Schritten erreichte sie die Tür und riss sie auf.

„Hallo!“, brüllte sie in den langen Flur. Die Kinder starrten sie an. Das hatte geklappt. Die Sommersprossen tanzten auf ihrem Gesicht.

Da schaute der Direktor aus einem der Klassenräume heraus. „Stimmt etwas nicht an Ihrem ersten Schultag, Frau Schubert?“ Seine Stimme klang gereizt.“

 

Unsere kleine Szene ist ganz schön gewachsen. Wir werden durch unser Wissen über die Vorgeschichte, das Aussehen und die Gefühle der Figur immer mehr in die Geschichte hineingezogen. Und alle drei Punkte habe ich versucht zu zeigen, um die Bilderflut herzustellen, in der der Leser versinken soll.

Autoren wollen ihre Leser fesseln – darum geht es.

Aber was mache ich, wenn ich eine starke Erzählstimme besitze und ich mich nicht ständig zwingen will zu zeigen?

Das Erzählen hat seine eigenen stilistischen Mittel, um Spannung aufzubauen. Es kann eine tiefere Schicht in die Geschichte einziehen, die etwas miterzählt, was die Handlung nicht vermitteln kann. Durch den Ton, z.B. durch Ironie, wird unser Verständnis für die Geschichte und ihre Figuren verschärft. Auch hier entsteht Spannung, die aber nicht vom fiktionalen Traum genährt wird, sondern vom bewussten Mitdenken des Lesers kommt.

Als Beispiel Thomas Mann aus seinem mehrbändigen Roman „Joseph und seine Brüder“:

„ … Aber den Vorteil haben wir über jene, daß uns Macht gegeben ist über das Maß der Zeit und wir es dehnen und kürzen können nach freiem Belieben. Wir müssen das Wartejahr nicht ausbaden in allen seinen Täglichkeiten, wie Jaakob tun mußte mit den sieben in Mesapotamien. Erzählenden Mundes dürfen wir einfach sagen: Ein Jahr verging – und siehe, da ist es herum, …“.  

 

Thomas Mann arbeitet mit der allwissenden Erzählperspektive, er schreibt auktorial. Einerseits bedeutet das, dass er in alle seine Figuren hineinschlüpfen kann und aus ihren Perspektiven heraus erzählen kann. Andererseits darf er durch seine Erzählstimme auch das Geschehen kommentieren. Er darf es einordnen, sich seine Gedanken dazu machen und die auch aufschreiben. Er darf sich also zwischen die Kinoleinwand und den Zuschauer schieben und uns die Geschichte erzählen, die wir im Hintergrund immer wieder aufflackern sehen.

Dabei darf er sich über seine Figuren äußern, sich an den Leser wenden und diesen einbeziehen. Und er darf – wie im obigen Beispiel – sogar die stilistischen Mittel, derer er sich bedient, für den Leser sichtbar machen und kommentieren.

Denn was sagt uns Thomas Mann?

Er erzählt, dass die Handlung seiner Geschichte ein Jahr lang ruht. Als kommentierender auktorialer Erzähler steht er außerhalb der Handlung, blickt auf seine Figuren, die ihm und uns untertan sind. Denn wir (er und wir Leser) wir haben die Macht über die Zeit in der Geschichte (Handlungszeit und Lesezeit sind gemeint). Wir (jetzt nur der Autor) bestimmen, was erzählt wird und was nicht. Und so überspringen wir einfach ein ganzes Jahr. Und das kostet uns gerade einmal ein paar Sekunden Lesezeit!

Oder wie Thomas Mann es sagt: „ … und siehe, da ist es herum, …“.    

 

Aber was bedeutet es, wenn die Handlung ruht? Kann Handlung denn ruhen?

Aber ja. Das tut sie in allen Geschichten, in denen die Chronologie nicht identisch ist mit der Handlung. Im Film gibt es Schnitte, die die zeitlichen Sprünge der Geschichte sichtbar (oder besser unsichtbar) machen. Im Theater gibt es unterschiedliche Bühnenbilder.

Gut, es gibt auch Stücke, die mit einem Bühnenbild auskommen. Ja – und auch in der Literatur gibt es sie: die Geschichten, in denen die zeitliche Chronologie identisch ist mit dem dramaturgischen Handlungsaufbau.

In der Regel haben wir es aber mit Geschichten zu tun, in denen es Zeitsprünge, Rückblicke und Vorausschauen gibt.

Hier schließt sich folgende Frage an: Wenn Autoren nicht alles chronologisch hintereinander zeigen wollen – wenn sie also Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden – was sind die dann die Unterscheidungskriterien?

Ich spreche gerne von Handlung auf der einen, und Aktivitäten auf der anderen Seite. Aktivitäten sind alles, was Figuren tun. Wenn sie schlafen, auf die Toilette gehen, essen – alles das sind Aktivitäten. Und aus diesen vielen, vielen Aktivitäten rekrutiert sich die Handlung. Handlung ist eine zielgerichtete Aktivität.

Unsere Figur hat ein Ziel, das sie handelnd versucht zu erreichen. Dieses Ziel kann alles sein: einen geliebten Menschen zu finden, einen Gangster zu jagen, einen Schatz zu finden. Egal. Alles, was eine Figur tut, um dieses Ziel zu erreichen, gehört zur Handlung. Und Handlung kann szenisch dargestellt, „gezeigt“ werden.

Aktivitäten beschreiben eher die Figur (denken wir an das Haar, das sich auf Petras Kopf türmt). Aktivitäten können auch – wie das türmende Haar – „gezeigt“ werden. Autoren können sie aber auch „erzählen“, wie Thomas Mann es tut. Er erzählt von der Aktivität des Wartens, die für die Handlung keine Rolle spielt. In jedem Film wäre sie herausgeschnitten.   

 

Für eine starke Erzählstimme bietet sich neben der auktorialen auch die Ich-Perspektive an. Hier ist die Stimme nicht an einen Erzähler, sondern an eine Figur gebunden. Sie sollte daher die Eigenarten der Figur in Wortwahl und Syntax zeigen:
„Gerade als ich dachte, noch schlimmer kann dieser Tag nicht werden, sah ich den toten Typen neben meinem Schließfach stehen. Kayla war in ihrem üblichen Labermodus – ohne Punkt und Komma – und bemerkte ihn nicht mal. Erst mal jedenfalls. Hm, jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ihn eigentlich niemand außer mir bemerkte, bevor er anfing zu sprechen. Mal wieder ein Beweis dafür, dass ich tragischerweise immer und überall aus dem Rahmen falle.“

Seit „Catcher in the Rye“ ist die Jugendsprache immer wieder eine interessante Wahl für den Ich-Erzähler. Mein Beispiel ist aus „House Of Night – Gezeichnet“ von P.C. Cast und Kristin Cast. Ein Vampirroman.

Die Erzählstimme ist deutlich zu hören. Durch sie schauen wir auf das Geschehen. Sie bereichert es durch ihren Ton, gibt der Figur und dem Setting Form und Kontur.

Während sich der auktoriale und der Ich-Erzähler also oft für eine starke Erzählstimme eignen, ist die personale Perspektive stärker an die Handlung gebunden als an die Figur. Nichts soll sich zwischen Kinoleinwand und Zuschauer schieben. Daher bedient sie sich in der Regel beim Zeigen, um den Bilderfluss für den Leser herzustellen.

Aber wie immer gibt es viele Ausnahmen.

 

Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, um mit der Zeit in einer Geschichte umzugehen. Wir können die Zeit, die die Handlung braucht, um zu geschehen, auch dehnen.

In unserem obigen Vampirgeschichtenbeispiel geschieht das. Die Autorinnen benutzen dazu die Erzählstimme. Die eigentliche Handlung ist sehr kurz: Sie sieht einen Toten an den Schließfächern stehen, während ihre Freundin redet. Spannung bekommt die Szene durch die Ich-Erzählerin, die uns erst etwas über den bisherigen Tag erzählt, dann über Kayla und schließlich sich selbst als tragisch bezeichnet. Durch diese zusätzlichen Informationen wird die Zeit, die die Handlung braucht, um zu geschehen, immer weiter gedehnt. Und die Leser fragen sich immer eindringlicher: Toter Typ? Nur ein Mädchen sieht ihn? Hilfe! Was passiert gleich?

Durch das Dehnen der Zeit wird die Spannung erhöht.

 

Den gleichen Effekt können Autoren auch über Beschreibungen erreichen. So finden wir das zeitliche Dehnen oft, wenn Figuren auf etwas warten. Auf einen Telefonanruf zum Beispiel – oder auf ihren Tod. Der immer wiederkehrende Blick zur Uhr und die Beschreibung dessen, was die Figur dort sieht, gehören dazu. Oder die Beschreibung einer Landschaft, in der der Täter auf sein Opfer wartet.

Auch bei Beschreibungen kann man zeigen. Oder erzählen.

Autoren werden immer wieder davor gewarnt, dass ihre Figurenbeschreibung nicht bildhaft genug sei. Und oft stimmt es. Was kann der Leser schon mit der Aussage anfangen: „Er war 1,98m.“ Wir sehen nichts und hören auch keine Erzählstimme.

Um diese Information zu einem Bild zu machen, kann ich sie „zeigen“. Im Sportunterricht z.B., wenn unsere Figur alle überragt und einen Korb nach dem nächsten wirft. Oder im Kino, wenn die Figur alle nervt, weil sie so riesig ist, dass man keine Chance hat, über sie hinwegzugucken.

Ich kann aber auch die Variante des Erzählens wählen, um die Figur in all ihrer Größe vor den Augen des Leser erscheinen zu lassen. Als Ich-Erzähler z.B.:

„Ich bin ein Meter achtundneunzig, und ich konnte mich noch nie verstecken. Weder in der Schule, als die bösen Buben die Mädels ärgerten. Noch heute als Busfahrer. Selbst im Sitzen falle ich auf und scheine so etwas wie Geborgenheit auszuströmen.“

 

Abschließend möchte ich festhalten:

Auch wenn das Zeigen den heutigen Lesegewohnheiten entspricht, sollten Autoren keinesfalls auf die Möglichkeiten verzichten, die das Erzählen bietet.

Und: Welche Technik der Autor anwendet – ob und wann er „zeigt“ oder „erzählt“ – sollte einzig von seinen Fähigkeiten abhängen und von den Geschichten, für die er sich entscheidet.

 

 

Literaturhinweise:

Sol Stein: Über das Schreiben. Zweitausendeins, Frankfurt a.M., 2001

P.C. Cast und Kristin Cast: House Of Night: Gezeichnet. Bastei Lübbe, Tübingen, 2012

Thomas Mann: Joseph und seine Brüder: Joseph, der Ernährer. Fischer, Frankfurt a.M., 1991

 

In der TextArt 2/2014 erschienen.
Und im TextArt Schreibbegleiter „Anschaulich schreiben Band 1″