Gudrun Peters: „Mausetot – ein Rathauskrimi“

„Mannomann, nu reicht et aber, wat tun mir die Beene weh!“ Frieda bückte sich und knetete ihre verkrampften Waden. Ihr Blick wanderte zufrieden über den blankgeputzten Boden. Auch aus der Kopfüberposition war kein Staub zu sehen. Nur die Schuhe vom Amtsrat Link standen noch unterm Schreibtisch. War ihr beim Wischen gar nicht aufgefallen.

„Is der Krümelkacker etwa ohne Schuhe …?“ Frieda machte schmale Augen. „Nee, da stecken ja noch Beene in die Schuhe … nee, wat denn, wat denn, der janze Mann – Mensch, Herr Link is Ihnen nich jut?“

Frieda riss den Kopf hoch und flitzte um den Tisch. Der Angesprochene hockte hinter seinem Allerheiligsten und glotzte mit starrem Blick. Frieda packte seinen Arm. Aber da konnte sie ziehen, so viel sie wollte, der alte Stinkstiefel ruckte nicht. Wie zum Trotz hockte er weiter und glotzte sie an. Und eiskalt war er auch!

Frieda brach der Schweiß aus. Mit feuchten Händen griff sie den Telefonhörer. Die Nummer der Pförtnerloge hatte sie zum Glück immer in der Schürzentasche.

„Otto, komm mal schnell, hier is wat passiert, der Link …!“

„Willste mir verarschen Frieda? Der Link ist doch lange raus!“

„Nee, nee, der hockt hier am Schreibtisch, is eiskalt und kiekt mir so an!“

„Wo steckst Du überhaupt?“

„Na in sein Zimmer! Otto, mach hinne, ick glob, mir wird schlecht!“

Werner Findig, Hauptwachtmeister in der Polizeidienststelle Moritzstraße, legte den Telefonhörer auf.

„Du Achim, ich fahr mal kurz zum Rathaus. Die wollen `ne Leiche gefunden haben. Wenn die uns verkohlen, heute am ersten April, gibt`s was auf die Mütze!“

Achim grinste in seine Richtung und knobelte weiter an seinem Kreuzworträtsel.

Mit Sirene und Blaulicht überquerte Findig den Altstädter Ring. Durch die Fußgängerzone der Carl-Schurz-Straße fuhr er tonlos im Schritttempo, um die wenigen Passanten im nächtlich beschaulichen Spandau nicht zu erschrecken. Der Haupteingang war noch offen und der Pförtner zeigte Richtung Treppe. Findig wusste: 1. Stock, Raum 168. Ein großer, schlanker Mann tätschelte einer rundlichen älteren Frau beruhigend die Schulter.

„Und wo ist hier `ne Leiche?“, blaffte Findig.

Zwei Zeigefinger zielten Richtung Schreibtisch. Findig reckte sich über die Tischplatte. Die Leiche glotzte ihn an.

„Donnerwetter, wer ist das denn?“

„Na, der Amtsrat Link, der Chef von Personal und Verwaltung“, jammerte Frieda.

Findig ertastete bei der Leiche kein Lebenszeichen.

„Tatsächlich mausetot!“, stellte er fest.

Als Polizist alter Schule zückte er Notizblock und den immer angespitzten Bleistift. „Da müssen die Kriminalen ran, aber zuerst: Wer sind Sie?“

„Frieda, Frieda Kunze, ick bin hier die Putze, zuständig für den sensiblen Bereich. Bin noch ´ne fest angestellte Arbeiterin. Hab den Eid jeschworen. Mir kann man noch wat anvertrauen, wie Zimmer mit Stempel, Formulare und Terminkalender. Allet andere macht ´ne Firma.“

„Und wer sind Sie?“

Der Mann riss sich die Mütze vom Kopf und deutete ein Strammstehen an.

Pförtner Reibel, Herr Hauptwachtmeister, Firma Ehrlich und Companie. Ich habe Sie gerufen und natürlich den Notarzt. Aber, dass der Amtsrat tot ist, hab` ich sofort gesehen, war nämlich mal erster Sargträger bei Kleeblatt und Co in der Schönwalder Straße.“

Findig zog sein Diensthandy aus der Tasche.

„Achim ruf die Kriminalen an. Ich nehme derweil die Aussagen auf!“

„Also Frau Kunze, dann legen Sie mal los. Wie war denn der Herr Link so?“

„Fällt dat nich unter Dienstjeheimnis Herr Kommissar?“

„Hauptwachtmeister bitte!“

„Ick meine nüscht für unjut, Otto, aber ick hab`s schließlich jeschworen.“

„Schon gut, Frieda, ich warte draußen!“

„Stop, dann erst Sie,“ Findigs Bleistiftspitze zeigte Richtung Pförtner, „wie war so der Tote?“

„Na wie schon? Ein hochnäsiger Sesselfurzer. Keinen guten Tag oder guten Abend zu uns. Immer fix vorbei. Nee, halt – in letzter Zeit war der gar nicht mehr schnell, hat geschnauft beim Treppensteigen und sich an den Säulen in der Vorhalle festgehalten. Dabei geschwitzt wie ein Schwein. Wir haben oft gesagt: geschiet dem recht, dem alten Ekel. Tut mir jetzt leid – war vielleicht ein Herzinfarkt?“

„Danke, Herr Reibel, bitte warten Sie vor der Tür.“

Findig musterte die Putzfrau. Sie sah müde aus. „So, Frau Kunze, nun setzen Sie sich erst einmal hierher!“ Er schob ihr den Besucherstuhl hin. Mit einem Seufzer nahm Frieda Platz.

„Wissen Sie, Herr Kommissar, früher, als ick noch Ossi war, da hab ick im RAWTreptow jearbeitet – in die Kantine. Mann, dit war`n noch Zeiten. Da jab`s richtig wat zu futtern. Kartoffeln, Bratwurscht, Sauerkraut – immer ruff mit de Kelle. Die Jungs mussten och richtig ackern. Einjefrorene Weichen bei de S-Bahn? Dit jing doch jar nich! Und Spass haben wir jehabt, wenn der Betriebsleiter zum Frauentag die Prämien ausjeteilt hat Und im Sommer immer mit de Jörn an die Ostsee!“

Findig räusperte sich, um den Redefluss der Putzfrau zu unterbrechen, aber die ließ sich nicht stoppen.

„Als ick dann Wossi war und in die Freiheit anjekommen, war dit RAW weg, de S-Bahn muckerte und die Jungs waren alle von de Arbeit befreit. Und ick wurde hier Putze. Na, dit hab ick aber gleich jenossen. Im Sommer rin in den Flieger und ab nach Mallorca. Als ick wiederkam, war allet privatisiert und ick uff halbtags. Da wurde dit eng mit dem Geld und ick bin noch zu Netto für 400 Euro. Mallorca ging nu nich mehr und Ostsee och nich. Seh`n se, Herr Kommissar, dit hat allet der Link jemacht! Aber das interessiert Sie wahrscheinlich jar nich.“

„Ich bin Hauptwachtmeister, gute Frau, aber nun erzählen Sie mal von ihrem Arbeitsbereich hier im Rathaus.“

„Der Link meinte noch, ick sei keen Aushängeschild für so`n Rathaus, bin een Relikt aus der alten Zeit mit meine Kittelschürze. Da kann der Öffentliche Dienst keen Staat mit machen. Lohnt sich och nich mir ne Uniform anzupassen, weil ick ja sowieso ausjesourct werde. Und um dit Publikum nich zu verschrecken, hat er mir den Spätdienst uffjebrummt – immer 18:00 – 22:00 Uhr. War och jut, da hab ick den och nich mehr jesehen!“

Frieda blickte scheu Richtung Schreibtisch. „Wie jesagt, ick putze nur die erste Etage, wo dit janze Wichtige jemacht wird!“

„Und was putzen Sie so?“

„Wischen, Bohnern, Abstauben, das schmutzige Geschirr waschen und wegräumen. Heute lag `ne tote Maus in der Zuckerdose. Sonst find ick die eher in ´ner Ecke liegen. Ick hab dat schon beim Bürgermeister angemahnt. Dit Weinlaub an der Fassade muss geschnitten werden. Darin klettern die Biester hoch, rin durch de Fenster und dann verhungern se. Weil: in die Hängeschränke mit die Vorräte schaffen die es nich. Da tummeln sich nur Mehlmotten. Ich hab schon überall Gläser mit Lavendelblüten aus meinem Garten rinjestellt!“

Friedas Redefluss stockte. Sie blickte zum offenen Schrank. Findig sah ebenfalls das Glas mit den blauen Blüten.

„Sagen Sie, Frau Kunze, wieso haben Sie den Toten bei der Arbeit nicht bemerkt?“

„Na, weil ick nich hinter den Schreibtisch darf. Streng jeheim hat der Link jesagt, da hab ick nüscht zu suchen. Nur bis hier vorne durfte ick säubern!“

Findig runzelte die Stirn. Da stand die Zuckerdose. Sie war leer.

„Und wo ist der Zucker und die Maus?“

„Na, entsorgt, im Müll uff `n Hof! Ick hab allet abjewaschen – ist doch eklig!“

Findig nickte. Er notierte die Information, damit die feinen Herren von der Kripo nachher gleich im Müll wühlen können. Das gönnte er denen. Er nahm das Lavendelglas und schnupperte.„

„Das riecht aber nicht wie Lavendel!“

Findig tunkte einen Finger in die Blüten und tupfte sich ein paar Blättchen auf den Handrücken. Sofort stellten sich juckende Pusteln ein. Knallrot und kochend heiß wurde die Stelle.

Frieda rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her, dann brach es aus ihr heraus: „Ick wollte nich, dass der stirbt. Er sollte nur een bisschen leiden, spüren, wie et uns Kleenen jeht. Mit die janze Privatisierung und det wenig Geld. Wenn man nich mehr weeß, wie man Miete, Strom und dit Essen bezahlt. Wenn man schon jetzt weeß, dass man mal um Grundsicherung betteln muss. Nur een bisschen Angst wollte ick ihm machen!“

Frieda liefen Tränen über die Wangen und tropften in die spröden Hände in ihrem Schoß. Findig blinzelte auf seine brennende Haut.

„Eisenhut im Zucker, nicht wahr?“ Er griff nach seinen Handschellen. „Ich muss Sie auf `s Revier mitnehmen Frau Kunze!“

Frieda nickte.

„Bitte ohne die Dinger, Herr Kommissar, ick komme janz freiwillig mit!“ 

Otto Reibel stand noch immer vor der Tür.

„Schließen Sie ab und lassen niemand den Tatort betreten. Die Kriminalpolizei ist gleich hier. Frau Kunze muss ich leider mitnehmen.“

„Mensch, Frieda,“ Otto fasste ihre Hand, „ich besuch Dich im Knast!“

Frieda sah ihn aus verweinten Augen an: „Versprochen?“

„Versprochen!“

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