Der Kriminalroman – für Anfänger geeignet

Ich behaupte immer wieder, dass es leicht sei, einen klassischen Krimi zu schreiben. Viel leichter als z.B. einen Fantasyroman oder eine anspruchsvolle Liebesgeschichte.

Was meine ich, wenn ich beim Krimi von einer einfachen Struktur rede?

Eine Geschichte braucht, um zum klassischen Krimi zu werden, drei Figuren. Sie braucht einen Ermittler, einen Täter und ein Opfer. Der Ermittler ermittelt, der Täter mordet und das Opfer stirbt. Die Handlungsweisen dieses Figuren-Dreigestirns stehen fest. Ich muss mir als Autor oder Autorin keine Gedanken darüber machen – meine Figuren sind in ihren dramatischen Funktionen klar definiert.

Diese Klarheit habe ich nicht in allen Geschichten oder Genres. Oft muss sich der Autor und die Autoin gehörig den Kopf zerbrechen, wie die Figuren handeln werden – was sie für ein Ziel in der Geschichte haben und wie sie es versuchen zu erreichen.

Im klassischen Krimi dagegen ist es leicht, Antworten auf diese Fragen zu finden.

Was ist das Ziel des Ermittlers?

Er will wissen, wer der Täter ist. Dementsprechend handelt er. Es geht nicht darum, wie er zu seiner Exfrau steht, ob seine Großmutter stirbt oder ein kindliches Trauma ihn davon abhält, Nähe in Beziehungen zuzulassen. Er jagt einen Täter. Punkt.

Was ist das Ziel des Täters?

Er will nicht vom Ermittler gefasst werden – jawohl!

Wunderbarerweise sind diese Ziele gegenläufig. Damit sind – schwuppdiwupp – die Antagonisten- und Protagonistenrollen in der Geschichte verteilt und eine Art Wettlauf oder auch Schnitzeljagd beginnt. Spannung setzt ein. Automatisch. Die bekommt der Autor geschenkt.

Natürlich müssen sich die Schreibenden auch um die falschen Fährten kümmern, die den Ermittler – vielleicht ist es auch eine Ermittlerin – in die Irre führen.
Aber dafür gibt es ja das Opfer.

Dass jede Figur in einer Geschichte eine Biografie braucht, versteht sich von selbst – und die Biografie und das Umfeld des Opfers sind dazu ausersehen, uns Schreibenden jede Menge Verdächtige zu liefern.

Die Punkte Biografie und Figurenarbeit kann jeder und jede Schreibende bei Lajos Egri nachschlagen. Sein Klassiker „Dramatisches Schreiben“ befasst sich sehr ausführlich damit. 

Wir Autoren und Autorinnen sollten vor allem zwei Handlungsstränge der Geschichte genau kennen – den des Täters und den des Ermittlers.
Auch wenn diese Fokussierung keine große Überraschung zu sein scheint, sollten wir uns trotzdem einen Augenblick Zeit nehmen um herauszufinden, wie genau diese Handlungsstränge ineinander verschränkt sind.

Wie wir wissen, ist – dramaturgisch gesehen – der klassische Krimi die Geschichte einer Ermittlung. Der Strang des Ermittlers oder der Ermittlerin scheint also im Vordergrund zu stehen. Den Strang des Täters zu dominieren.
Aber ist das wirklich so?

Seien wir einmal spitzfindig: Wenn keine Tat stattfindet, wird auch keine Ermittlerin versuchen, irgend jemandem etwas nachzuweisen. Dann ist die Geschichte einer Ermittlung zu Ende, bevor sie angefangen hat.

Das bedeutet, dass vor aller Ermittlung die Tat kommt. Gibt es keine Tat, gibt es auch keine Ermittlung.
Banal?
Vielleicht.
Aber damit wird der Handlungsbogen der Täterin zur notwendigen Voraussetzung für den Handlungsbogen des Ermittlers.
Oder anders: Ich als Schreibende muss zuerst die Geschichte des Täters schreiben, bevor ich mich an meine Geschichte der Ermittlung setzen kann. Denn aus dem Handlungsbogen des Täters ergibt sich der klassische Krimiplot.

Dramaturginnen und Dramaturgen nennen das den Plot hinter dem Plot.
Aus der Geschichte der Täterin folgt die Ermittlungsgeschichte.

Das ist sicher viel Arbeit für uns Schreibende, denn – neben aller Biografiearbeit – müsen wir nicht nur eine, sondern zwei Geschichten schreiben.
Das ist aber keine komplizierte Struktur.

Berücksichtigt man außerdem, dass der Krimi ein äußerst beliebtes Genre ist, das sich gut verkauft – lohnt sich die Beschäftigung mit ihm.
Überdies macht ihn seine klare Struktur nicht nur für gestandene Autorinnen und Autoren attraktiv. Er ist auch für Anfängerinnen und Anfänger bestens geeignet.